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Wie immer gibt es viel zu tun

Viele Menschen besuchen Praxis Riesenhuber, entweder um in einen mal- und gestaltungstherapeutischen Prozess einzutauchen, oder um sich zu einem Thema beraten zu lassen, oder um eine Supvervision in Anspruch zu nehmen. Ich freue mich über all das Interesse und die schöne Zusammenarbeit!

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Liebe Kolleg_innen, Freund_innen, Interessierte!

Wie bereits teilweise ausgesendet bleibt Praxis Riesenhuber vorerst bis nach Ostern geschlossen. Dann wird die Lage neu zu beurteilen sein.

Für notwendige Gespräche und Krisensituationen stehe ich in dieser Zeit gerne via Mail, Telefon oder Skype zur kostenlosen Beratung zur Verfügung.

Ich hoffe, dass ihr alle gut durch diese herausfordernde Zeit kommt und gesund seid bzw. es bald wieder werdet.

Während die Erde, die Mutter Natur, aufzuatmen scheint, ringen die Menschen nach Luft, nach Antworten, ringen um Lösungen und Bewältigung und Umgang.

Ich versuche diesen globalen Prozess, der sich gerade vollzieht, aus der Perspektive der Jung’schen Psychologie und aus traumasensibler Sicht zu beobachten.

 

Die archetypische Symbolik zeigt uns, dass Individuation stets durch eine Not oder ein Leiden angestoßen wird. Alle Märchen und Mythen zeigen uns das auf. Es entsteht eine Notwendigkeit, die dazu führt, dass der Held, die Heldin sich auf den Weg macht, besondere Aufgaben bewältigt, und auf diese Weise einen Entwicklungsprozess vollzieht, bis es am Ende zur Vereinigung der Gegensätze in der Symbolik der Hochzeit kommen kann.

Dieser Aufbruch geschieht also nicht als bewusster Willensakt des ICH, sondern kommt über das Unbewusste in Form einer Not, einer Störung, eines Symptoms herein. Der Entwicklungsweg vollzieht sich dann über verschiedene Stufen, wobei die Möglichkeiten des ICH, also des Bewusstseins, immer wieder an seine Grenzen stoßen, bis es zu einer Erweiterung durch das Unbewusste kommt. Diese Erweiterung geschieht durch die Verwandlung von Schattenseiten und die Integration unbewusster Inhalte.

So bricht dieses Virus plötzlich mitten in unser kollektives Menschheitsbewusstsein herein und zwingt uns zur Weiterentwicklung. Alles, was bislang selbstverständlich war, wird dadurch in Frage gestellt, völlig irrationale Dinge geschehen, Möglichkeiten, die davor undenkbar gewesen sind, eröffnen sich jetzt. Unser kollektives Menschheits-ICH wird auf den Weg zur Weiterentwicklung geschickt, gleich dem Märchenhelden, der Märchenheldin. Wir haben Aufgaben zu bewältigen, die unser ICH an und über seine Grenzen führen, sodass wir gezwungen sind, die kreative, irrationale Seite mit einzubeziehen. Unsere ICH-Grenzen müssen sich erweitern, um voran zu kommen.

An die Stelle von ICH-bezogenem, machtbesessenem, parteipolitischem Hick Hack tritt qualitativ hochwertige sachbezogene politische Zusammenarbeit. Konstruktive Kooperation überwindet ideologische und parteipolitische Bewusstseinsgrenzen. An die Stelle von Klimaschutzgipfeln und -diskussionen, die letztlich nur marginale Wirkungen mit sich bringen, treten jetzt bereits höchst wirksame Phänomene in Kraft, die förmlich ein Aufatmen der Natur aufzeigen, wie beispielsweise Delphine in Italien, blauer Himmel in China. Anstelle von Sparkursen wird Geld ausgeschüttet, dort wo zuvor stets von Knappheit gesprochen wurde, scheint aktuell Überfluss zu herrschen. Gesellschaftliche Randgruppen, die Alten und die Schwachen, stehen jetzt im Zentrum der allgemeinen Fürsorge. Die vorherrschende extravertierte und konsumorientierte Lebensweise muss völlig umgekehrt werden. Familien verbringen wieder Zeit miteinander und Nachbarschaftshilfe so wie allgemein der Wunsch, etwas zum Wohle des Ganzen beizutragen treten in den Vordergrund. Gesundheit wird als wesentlicher Wert allem vorangestellt und soziales, mitfühlendes und fürsorgliches Miteinander sind das Gebot der Stunde.

Sowohl kollektiv wie auch individuell wirkt diese Situation wie ein Katalysator für den Individuationsprozess. Jeder einzelne Mensch ist an dem Punkt, wo er mit sich gerade steht, gefragt und gefordert, und das sieht individuell sehr unterschiedlich aus. Während die einen Übermenschliches leisten und so viel arbeiten wie vielleicht nie zuvor, haben andere vielleicht so wenig wie sonst nie nach außen hin zu tun und sind ganz auf sich selbst zurückgeworfen. Je nach individueller innerer und äußerer Situation steht eine Herausforderung an, die vielleicht nachhaltig zum Entwicklungsschritt wird.

Viele Menschen, aber auch Einrichtungen und Organisationen kommen in diesen Tagen in einen Zustand von Ohnmacht und Hilflosigkeit und fühlen sich ausgeliefert und von den aktuellen Ereignissen überwältigt. Als traumatisch kann eine Erfahrung definiert werden, wenn sie als überwältigend erlebt wird. Das bedeutet, dass es um das subjektive Erleben geht, nicht um „objektive“ Fakten. Eine solche Erfahrung erschüttert uns in unseren Grundannahmen. Besonders drei Grundannahmen, die in unserer westlichen Gesellschaft vorherrschen, werden nach Stephen Joseph durch traumatische Erfahrungen erschüttert: dass wir unverwundbar sind, dass wir alles im Griff haben, und dass nur „die Bösen“ vom Leid getroffen werden.

Vor diesem Virus sind jetzt alle Menschen gleich, es kann nicht nur „die Bösen“ treffen, wir haben es nicht im Griff, und wir sind mit unserer natürlichen Verwundbarkeit konfrontiert. Ein Bekannter von mir hat den einfachen, aber umso weiseren Satz geprägt: „Jetzt weiß der Mensch wieder, wo er seinen Platz hat“. Die menschliche Allmachtsphantasie ist gebrochen.

Wenn eine traumatische Erfahrung eintritt, reagiert unser Gesamtorganismus auf sehr sinnvolle Weise, um das Überleben zu sichern. Um auf Kampf oder Flucht vorbereitet zu sein, stellt der Körper Energie bereit, auf die im Bedarfsfall sofort zurückgegriffen werden kann. Aber es wird auch keine Energie verschwendet, für etwas, das nicht wirklich notwendig ist, also fährt der Körper andererseits auf Minimalbetrieb herunter. Ein nächster Schritt ist dann die Dissoziation als Lösungsversuch des Organismus, das heißt, die Abspaltung, die Erstarrung, der Totstellreflex.

All diese Phänomene können wir gesamtgesellschaftlich gerade beobachten. Während einige Berufsgruppen alle vorhandenen Energien massiv bündeln müssen und sozusagen außergewöhnlich auf Hochtouren laufen, wie beispielsweise medizinische oder andere lebensversorgende Kräfte, finden sich andere Berufsgruppen wie ruhiggestellt oder auf ein Minimum an Aktivitäten reduziert. 

Es gibt viele Faktoren, die letztlich zusammenspielen und entscheidend sind, ob es am Ende zu einer posttraumatischen Belastungsstörung oder zu posttraumatischem Wachstum führt. Der wesentlichste Faktor ist die soziale Unterstützung, die gegeben ist. Ich sehe viel Unterstützungsaktivitäten, es wird kollektiv versucht, niemanden in dieser Situation alleine zu lassen, sei es einzelne Menschen, sei es Unternehmen. Es gibt vielfältige Hilfsangebote, viel ehrenamtliches Engagement, viel differenzierte Beratung für alle Bereiche, Unterstützungsleistungen, Hilfe auf unterschiedlichen Ebenen. All das macht Hoffnung auf die Möglichkeit, dass wir gesamtgesellschaftlich trotz all dem Leid letztlich ein wenig positiv verändert aus der Krise hervor gehen können werden.

Tedeschi et. al beschreiben posttraumatisches Wachstum als intensivierte Wertschätzung des Lebens, gekoppelt mit verändertem Bewusstsein für das Wesentliche, als Intensivierung persönlicher Beziehungen, gekoppelt mit erhöhter Empathie, als Bewusstwerden der eigenen Stärke, gekoppelt mit einem erhöhten Bewusstsein für die eigene Verletzlichkeit, als die Entdeckung neuer Möglichkeiten, und als intensiviertes spirituelles Bewusstsein.

Wir können also hoffen, dass diese große Herausforderung und dieses große Leid, welches über uns als Gesellschaft, aber auch über uns als einzelne Menschen in der einen oder anderen Form gekommen ist, letztlich auch das Potential in sich trägt, einen positiven Entwicklungsschritt anzustoßen. Hierfür bietet uns die Natur eine Möglichkeit, welche in den Gesetzmäßigkeiten von posttraumatischem Wachstum angelegt ist. Wollen wir diesbezüglich offen sein und unser Möglichstes beitragen, jeder und jede aus dem eigenen Standpunkt und aus der eigenen Kompetenz und Begabung heraus. Wollen wir also aktiv Hoffnung und Zuversicht über Angst und Verzweiflung stellen und uns bemühen, das Gute zu fokussieren.

Ich wünsche euch allen gute Gesundheit, viel Kraft und Hilfe in dieser Zeit, und dass für jede und jeden etwas in der Krise liegt, das für das eigene Leben in weiterer Folge fruchtbar gemacht werden kann.

Ich werde immer wieder Impulse auf meine website stellen, die euch hoffentlich ein wenig inspirieren, die erbaulich sein können und die Kraft und Hoffnung stärken können.

Alles Liebe und Gute,

Sabine